Berlin, 24.07.2019. Der Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dem höchsten Gericht der EU, stellte am 25. Juli 2018 klar, dass neuartige wie herkömmliche Gentechnik reguliert werden muss. Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), kommentiert:

„Der EuGH hat vor einem Jahr in seiner Entscheidung nicht Gentechnik beurteilt und ob diese gut oder schlecht, sicher oder unsicher ist, sondern die neuen Gentechnikverfahren in das geltende Europäische Gentechnikrecht eingeordnet. Das Urteil bedeutet, dass Gentechnik wie CRIPSR-Cas und Co gemäß der EU-Freisetzungsrichtlinie reguliert werden muss, was unter anderem Sicherheitsprüfung und Kennzeichnung einschließt.

 

Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass die gesetzlich vorgeschriebene Regulierung und Kennzeichnung für die neuen Gentechniken vollumfänglich umgesetzt wird.

 

Mit der rechtlichen Einordnung schuf das EuGH Rechtssicherheit für alle in Landwirtschaft und Lebensmittelmarkt tätigen Unternehmen. Die europäischen Richter sorgten dafür, dass Bäuerinnen und Verbraucher weiter selbst darüber entscheiden können, was sie anbauen und essen.

 

Trotz gegenteiligen Behauptungen: Nach erfolgter Zulassung können auch Produkte der neuen Gentechniken in Verkehr gebracht werden. Und es kann daran, unter Beachtung der EU-rechtlichen Bestimmungen, auch weiterhin geforscht werden.

 

Es ist aber jetzt wichtig, dass bei der Forschung nicht alles auf genau die Karte gesetzt wird, die bereits die letzten 20 Jahre mehr Heilsversprechen als Erfolge hervorbrachte. Es braucht dringend wieder eine unabhängige Risikoforschung, die derzeit gegen Null gefahren worden ist. Auch muss die neue Gentechnik realistisch beurteilt werden. Bis heute ist es weder durch alte, noch mit der neuen Art der Genmanipulation gelungen, etwa Resistenzen gegen wirtschaftlich bedeutende Pilzkrankheiten im Getreide, höhere Erträge oder die Resilienz gegen Extremwetterlagen zu erreichen. Denn für solche Eigenschaften genügt es nicht, eines oder wenige Gene zu verändern – weshalb man hier mit klassischen Züchtungsmethoden leichter zum Ziel kommt.

 

Zudem kann man den Herausforderungen, wie sie vor allem die Klima-Krise mit sich bringt, nicht allein mit Züchtung begegnen. Es kommt vielmehr darauf an, wie wir das gesamte Gefüge von der Bodenfruchtbarkeit bis hin zu den Agrarlandschaften gestalten, wie wir Fruchtfolgen abwechslungsreicher machen und vielfältige, robuste Sorten wählen. All das müssen wir den veränderten Bedingungen anpassen – wir sehen hier bereits viele Erfolge, aber auch dringenden weiteren Forschungsbedarf. Eine ausgewogene und am Vorsorgeprinzip orientierte Forschungspolitik muss auch hierfür Mittel und entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellen!“

 

Hintergrund

Laut geltendem EU-Recht ist die Risikoprüfung von Gentech-Organismen vorgeschrieben. Der EuGH hat vor einem Jahr bestätigt, dass das auch für neue Gentechnik gilt. Die Aufgabe der Richter war es, die neuen Gentechniken auf Basis der bestehenden Gesetze zu prüfen. Die Richter berücksichtigten dabei Ähnlichkeiten zwischen potenziellen Risiken von älteren und neuen Gentechniken vor dem Hintergrund europarechtlicher Grundlagen und verwiesen auf das im Umwelt- und Gentechnikrecht verankerte Vorsorgeprinzip. Jede andere Entscheidung hätte das geltende EU-Recht auf den Kopf gestellt. Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht urteilte bereits 2010, dass dem Gesetzgeber bei der Gentechnik eine ‚besondere Verantwortung‘ aufgrund des ‚tiefen Eingriffs in die Lebensgrundlagen‘ obliegt.

Im EU-Gentechnikrecht ist die Risikoprüfung, Kennzeichnung und Verursacherhaftung verankert. Diese Elemente garantieren Züchterinnen, Landwirten, Unternehmen und ihren Kundinnen Wahlfreiheit. Und sie sind von entscheidender Bedeutung für wirksamen Schutz vor Kontaminationen. Nicht zuletzt gewährleisten sie  auch eine wissenschaftsbasierte Bewertung der mit den neuen Gentechnik-Verfahren erzeugten Organismen.

Keine der neuen Gentechniken kann ohne wirksame und unabhängige Prüfung der Ergebnisse als harmlos angesehen werden. Das zu behaupten ist unwissenschaftlich. Denn Verfahren wie CRISPR-Cas können gravierende Veränderungen im Genom und darüber hinaus auslösen. Wie die Genmanipulation auf den Organismus oder die Umwelt wirken, muss deshalb zwingend durch eine Risikoprüfung geklärt werden. Und genau diese garantiert das aktuelle Gentechnikrecht.

Die vollumfängliche Umsetzung des Urteils bedeutet auch: Bundesministerin Julia Klöckner muss national und in Brüssel darauf dringen, dass die Unternehmen für Verfahren wie CRISPR und Co. Referenzmaterial und Nachweismethoden liefern müssen. Schließlich dürfen die neuen Gentechnik-Organismen Europas Landwirten oder Verbrauchen nicht einfach untergejubelt werden, wenn zum Beispiel Saatgut aus Ländern außerhalb Europas importiert wird.

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